AFVAKK
Arbeitskreis zur
Förderung und
Veröffentlichung
aktueller Kunst
und Kunstkritik
Matthias Krause, wie wo was manhattan, 2015
„[…], the opening of an exhibition could mark the beginning of a curatorial idea, not its end.“
„Traditionally, it's the other way around: curators open their shows and play the role of explicators, working to enlighten visitors who don't know what they know. They are expert performers of the I Know and avoid displaying any sign of the I Don't Know. Instead, an alternative curatorial behavior could be to embrace a more vulnerable relationship to knowledge. An institution could stop behaving like an explanation machine, where those who know are teaching those who don't know, and invest in what philosopher Jacques Rancière calls the equality of intelligences, where those who know something engage with those who know something else. It's not about preparing explanations in advance, but about following the life of an idea, in public, with others.“ (1)
Folgt man dem Angebot des Direktors des The Artist's Institute, New York Anthony Huberman, bietet sich ein Ausstellungsvorhaben als Anlass zu einem weiterführenden Dialog an. Mit der Aufgabe zur Initiation und Pflege einer Gesprächssituation verlängert sich die kuratorische Gedankenführung und Verantwortung über die einzelne Ausstellung hinaus.
In diesem Sinn greift der Arbeitskreis zur Förderung und Veröffentlichung aktueller Kunst und Kunstkritik (AFVAKK) die Impulse der Stipendiaten-Ausstellung Regionale S-H auf um sie zu verstetigen.
Der Name ist Programm: der AFVAKK ist ein freier unabhängiger Arbeitskreis zur rhapsodischen Förderung und Veröffentlichung aktueller Kunst und Kunstkritik in und aus oder mit Bezug zu Schleswig-Holstein. Ziel ist es, Strategien und Formate zur Publikation und Unterstützung von Trägern der Gegenwartskultur und Akteuren des zeitgenössischen Kunstfeldes zu entwickeln, zu erproben und langfristig in Schleswig-Holstein in einem Dialog zusammenzuführen. D.h. unabhängig Beiträge zum aktuellen Kulturdiskurs zu veröffentlichen und auf verschiedenen Rezeptionsebenen Anreize zu einer offenen und dauerhaften Auseinandersetzung zu schaffen. Ausgangspunkt ist die Umsetzung der Regionale 1 und 2, die kuratorische, planerische, technische und gestalterische Verantwortung für die beiden ersten Ausgaben der Präsentationsreihe (Regionale S-H) des 2009 ins Leben gerufenen Stipendienprogramms des Landes bzw. der Kulturstiftung des Landes Schleswig-Holsteins.(2)
Jimok Choi, Final Cut Red, Eröffnungsperformance, Regionale 2 „Von hier aus/From here on in“, Overbeck-Gesellschaft, 2014, Foto: up
Regionale 1 (2012): Kunst und Region
Welche Bedeutung der Region im Kontext zeitgenössischer Kultur beizumessen ist, war die zentrale Fragestellung der Regionale 1, Untertitel: Aus der Region. Eine bemerkenswerte thematische und geografische Beweglichkeit war als Merkmal eines international geführten, globalisierten kulturellen Diskurses, repräsentiert durch die partizipierenden Stipendiat(inn)en abzuleiten.
Obsolet ist die Vorstellung oder Versuch und Zielsetzung, den zeitgenössischen Diskurs in einer Region zu halten bzw. an einem zeitgenössischen Diskurs teilzuhaben, indem man möglichst viele Vertreter des künstlerischen Nachwuchses dauerhaft geografisch in Schleswig-Holstein festhält. Bereits für den Zeitraum vom Zeitpunkt der Stipendienvergabe – der Arbeits- oder Wohnort in Schleswig-Holstein ist hierfür Bedingung - bis zur Präsentation lässt sich ein weitverzweigtes geografisches Netz internationaler Zirkelschläge rekonstruieren.
Das Feld des zeitgenössischen Kunstdiskurses erstreckt sich international. Mit der documenta in Kassel, der Manifesta, der Biennale in Venedig, Messen, der Kunstszene in Berlin oder New York lassen sich scheinbar feststehende Koordinaten bestimmen. Aber eine Karte, die diese und ähnliche Orte verzeichnet, ist nicht statisch, sondern benennt Knotenpunkte, an denen sich die freien Bewegungen der Akteure überschneiden; Orte und Räume, an denen traditionell und kontinuierlich Publikation und Gespräche stattfinden.
In einem Essay zur documenta 13 formuliert der schweizer Kunsthistoriker Beat Wyss: „Die postkoloniale Definition von Zentrum und Peripherie wird jetzt umgewertet im Sinne eines neuen Internationalismus: Es gelte der Erdmittelpunkt als kulturgeografische Universalie, alle Orte des Globus sind gleich weit vom Zentrum entfernt.“(3) Schleswig-Holstein wäre auf einer hieraus abgeleiteten kulturgeografischen Weltkarte erst einmal gleichrangig einzutragen – fehlerhaft wäre es, die zeitgenössische Kultur auf wenige Stammplätze zu reduzieren – andere kategorisch auszuklammern. Eine längerfristige Anziehungskraft für Partizipatoren des internationalen Kunstfeldes - Künstlerinnen, Rezipienten, Kunstwissenschaftler, -kritiker – herzustellen oder aufrecht zu erhalten, bedeutet zunächst nur eine Auseinandersetzung mit diesen Orten in irgendeiner Form, durch offene Räume, Gesprächskultur und -tradition, zuletzt als Koordinate von Überblicksmomenten zu fördern.
Regionale 2 (2014): Ereignis und Kontinuität
Um Gedanken über die Bedeutung und Funktion des Mediums Ausstellung aufzurufen und vorrangig das Potenzial der Regionale S-H besser auszuloten, bediente sich die Regionale 2 „Von hier aus/From here on in“ der Methode des Vergleichs: die schleswig-holsteinische Gruppenausstellung wurde offen mit der Düsseldorfer Großausstellung „von hier aus – Zwei Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf“ von 1984 in Bezug gesetzt.
Wie 2014 hier, ging auch die Ausstellung vor 30 Jahren dort aus der Motivation hervor, die Düsseldorfer Kunstszene und den lokalen künstlerischen Nachwuchs zu fördern: „Den Anstoß zur Ausstellung in der Messehalle 13 gab die Unzufriedenheit Düsseldorfer Künstler und Galerien; beide Seiten beklagten die zu geringen Präsentationsmöglichkeiten. Die Galeristen monierten recht allgemein, daß die Attraktivität Düsseldorfs als Kunststadt sich dem Nullpunkt nähere und sie mit wenig Wandfläche und kleinen Räumen das Defizit nicht auffangen könnten. [...] Den Künstlern in Düsseldorf ging es dagegen tatsächlich erst einmal um ein Tor zur Öffentlichkeit. Nach dem Abriß des Malhauses waren nur noch die Atelierhinterhöfe geblieben, die, in Eigenregie gestaltet und verwaltet, kein größeres Publikum fassen und auch keines erfassen konnten. […] Düsseldorfs Kommunalpolitiker sahen sich unvermutet einer von Medien, Galerien und Künstlern einhellig vertretenen Forderung nach mehr Engagement für die bildende Kunst gegenüber.“(4)
Joseph Beuys bei einer Aktion im Rahmen der Ausstellung „von hier aus – Zwei Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf“ 1984. Im Hintergrund der Eingang zur Ausstellung in der Messehalle 13, Düsseldorf. Foto: Dirk Reinartz, ( c ) estate dirk reinartz.
(1)
Huberman, Anthony: Take Care, in: Circular Facts, hrsg. von Mai ElDahab u.a., Berlin 2011, S. 11 ff.
„(…) die Eröffnung einer Ausstellung könnte den Anfang einer kuratorischen Idee markieren, nicht ihr Ende.“
„Traditionell ist es anders herum: Kuratoren eröffnen ihre Ausstellungen und spielen die Rolle der Erklärenden, stetig an der Aufklärung der Besucher arbeitend, die nicht wissen, was sie [die Kuratoren] wissen. Sie stellen sich geschickt als Wissende dar und vermeiden dabei jegliche Anzeichen von Unwissen. Stattdessen könnte es ein alternatives kuratorisches Betragen sein, sich eine verletzliche Beziehung zum Wissen zu eigen zu machen. Eine Institution könnte aufhören, sich wie eine Erklärungsmaschine zu gebaren, bei der jene, die wissen, diejenigen unterrichten, die nicht wissen und in das investieren, was der Philosoph Jacques Ranciere die "Gleichheit der Intelligenzen" nennt, wo jene, die etwas wissen, mit denen in Verbindung treten, die etwas anderes wissen. Es geht nicht darum, Erklärungen im Voraus/Vorneherein bereit zu halten, sondern darum, dem Eigenleben einer Idee zu folgen, in Öffentlichkeit, mit anderen.“
(2)
Schleswig-holsteinische Landestipendien wurden erstmalig 2009 durch das damalige Ministerium für Bildung und Kultur ausgeschrieben, seit 2011 ist die Kulturstiftung des Landes Schleswig-Holstein Träger des Programms zur individuellen Förderung von Kulturschaffenden. Die Kulturstiftung des Landes vergibt jährlich Reise- und Arbeitsstipendien an Künstlerinnen und Künstler aus den Bereichen Bildende Kunst, Literatur, Musik und Theater, die ihren Wohnsitz oder Arbeitsmittelpunkt in Schleswig-Holstein haben. Die Bewerbung um ein Stipendium ist bis zum 28. Februar eines jeden Jahres möglich. Über die Vergabe der Stipendien entscheidet der Vorstand der Kulturstiftung des Landes Schleswig-Holstein auf Vorschlag der Stipendienkommission des Landes. Mit der Einrichtung des Stipendienprogramms wurde zusätzlich vereinbart die Beteiligten Stipendiatinnen und Stipendiaten der Öffentlichkeit zu präsentieren: 2012 und 2014 als Regionale 1 und 2 realisiert.
(3)
Wyss, Beat: Occupy Kassel, in: Monopol. Magazin für Kunst und Leben, Nr. 6/2012, Juni 2012, S. 81.
(4)
Thiel, Heinz: Über den Tempeln steht ein Hauch von Teufelsdreck. von mir aus. Anmerkungen zu „von hier aus“, in: Kunstforum International, Band 75, 1984, S. 118.
(5)
ebd.
(6)
Spoorendonk, Anke: Grußwort, in: Regionale 2. Von hier aus / From here on in, hrsg. von Sönke Kniphals, Gruppe „Am Montag“ für das Ministerium für Justiz, Kultur und Europa des Landes Schleswig-Holstein, Kiel 2014, S. 7.
(7)
Latour, Bruno: From Realpolitik to Dingpolitik or How to Make Things Public, in: Making Things Public: Atmosphere of Democracy, hrsg. von Bruno Latour und Peter Weibel, Cambridge 2005, S. 14−41.
AFVAKK (2015): Verstetigung
Die Regionale 1 und 2 haben sozusagen über ihren Auftrag, „[m]it der Ausstellung und dem begleitenden Katalog […] die künstlerische Arbeit der Stipendiaten [zu würdigen] und einem breiteren Publikum zugänglich [zu machen]“ hinaus in strukturspezifischen Fragestellungen ihren roten Faden gefunden.(6) Herausforderung und Möglichkeit diese Gedanken öffentlich weiterzuverfolgen, auszubauen, zu intensivieren und zu diesem Zweck weiterhin wissenschaftliche, kritische und künstlerische Beiträge zu publizieren, sind z.T. mit Bedingungen verbunden, welche die einzelne Auflage der Regionale S-H als temporäreres Ereignis nicht erfüllen kann:
1.
Mit dem Titel Regionale, dem Kompositum aus Region und Biennale und der angehangenen Ziffer wurde die periodische Fortsetzung - also gleichsam die Möglichkeit im Rahmen einer Ausstellungsreihe kontinuierlich an das Vorangegangene anknüpfen zu können - programmatisch als Angebot mit aufgenommen. Tatsächlich folgte 2014 die zweite Präsentation und mit den Grußworten der Ministerin für Justiz, Kultur und Europa des Landes Schleswig-Holstein und Stiftungsratsvorsitzenden der Kulturstiftung des Landes Schleswig-Holstein Anke Spoorendonk zur Regionale 2 wurde die dritte Regionale für 2016 angekündigt.
Die Präsentation eröffnet über ihre Dauer von fünf Wochen ein temporäres Schaufenster, einen zeitlich begrenzten öffentlichen Raum. Der Zweijahresrhythmus schließt eine einjährige Interimsphase ein. Neben dem Ereignis bedarf es, um eine Gesprächssituation einzugehen weiterer Räume, Orte, die eine permanente Fortführung publizierender, rezipierender und kritischer Tätigkeit ermöglichen.
2.
Mit jeder neuen Auflage der Präsentation wendet sich der Fokus auf die Künstler(inn)en der jeweils aktuellen Jahrgänge. Entsprechend waren zur Regionale 1 die Stipendiat(inn)en der Jahre 2009 und 2010, zur Regionale 2 die Teilnehmer des Programms von 2011, 2012 und 2013 eingeladen. Mit der schlaglichtartigen Profilierung der augenblicklichen Beteiligten rücken die Akteure der vergangenen Jahre aus dem Blickfeld.
Die allein den begleitenden Katalogbüchern zukommende Gedächtnisfunktion wurde der Art erweitert, dass der Katalog zur Regionale 2 neben den aktuellen Stipendiatinnen in verkürzter Form auch die vorangegangenen Jahrgänge dokumentiert. Das Feld aktueller und ehemaliger Stipendiat(inn)en, das bis 2016 auf 60 herausragende Akteure angewachsen sein wird, langfristig, stetig und in breiterer Form in den Kulturdiskurs in Schleswig-Holstein mit einzubinden, weist wiederum über die Möglichkeiten der Regionale S-H hinaus.
3.
Eine Gesprächsituation entspinnt sich nicht allein zwischen Künstler(inne)n und Publikum, sondern bedarf der Vermittlung und Moderation. Ausstellungsprojekte und insbesondere die begleitenden Kataloge beziehen u.a. Kulturwissenschaftler und –kritiker, Fotografen und Gestalter mit ein. Eine Mehrzahl an Anlässen zu schaffen, diese Zusammenarbeit in einer stetigen Weise fortzusetzen, dem Wechselspiel zwischen freien und angewandten künstlerischen und wissenschaftlichen Strategien und Perspektiven Anreize zu bieten, befruchtet nicht nur den Diskurs, sondern erweitert das Feld der Förderung um die notwendige Basis kultureller Facharbeit und deren Nachwuchs.
4.
Die Regionale S-H ist nur ein Ereignis neben weiteren Initiativen, die berücksichtigten Stipendiatinnen und eingebundenen Akteure und Institutionen nur ein Bruchteil der Teilnehmer der kulturellen Infrastruktur Schleswig-Holsteins. Mit dem Ziel, die Impulse der Regionale S-H unabhängig weiter zu verfolgen, sieht sich der AFVAKK vor die Möglichkeit gestellt, weitere (und weitere mögliche) Träger und Förderer aktueller Kunst und Kultur zu lokalisieren und einzubeziehen und das Feld der bereits versammelten Akteure ebenso zu erweitern, wie die geförderten Künstler(innen) als Gesprächsteilnehmer des schleswig-holsteinischen Kulturdiskurses zu bewahren oder zurück zu gewinnen.
Mit der Vorstellung von dem Eigenleben einer Idee greift Huberman einen zentralen Gedanken des Philosophen Bruno Latour auf, demnach eine Idee, ein Thema, ein Gegenstand immer aus verschiedenen Perspektiven unterschiedlich wahrgenommen und für die verschiedenen Teilnehmer eines Diskurses mit ganz verschiedenen Themen und Gedanken, Behauptungen – Wissen - befrachtet ist.(7) Möglichkeiten den verselbständigten Ideen, interdisziplinären Beiträgen und Positionen in der Öffentlichkeit mit seinen Akteuren weiter zu verfolgen und einem daraus erwachsenden dauerhaften Dialog zu pflegen, versprechen einen maßgeblichen strukturellen Anteil an einer kulturellen Infrastruktur in Schleswig-Holstein.
Der AFVAKK sieht seinen Arbeitsauftrag darin, eine Perspektive von der Regionale S-H aus und gleichsam über diese hinaus zu eröffnen - das Kunst- und Kulturnetzwerk umfassend rhapsodisch mit seinen Akteuren zu vermessen und zu dialogisieren. Das Gespräch im Kleinen über den ereignishaften Moment hinaus zu pflegen, zu inventarisieren, eine Gedächtnisfunktion zu übernehmen, Räume zu diesem Gespräch, für eine Gesprächskultur, zur Sammlung und Publikation von Beiträgen zu öffnen und zu kuratieren.
„Ein weitverzweigtes internationales Netz geografischer Zirkelschläge“: Ortsketten als corporate design der Regionale 1. Am Montag (Kenan Darwich, Nils Küppers, René Siegfried), Stipendiaten des Landes Schleswig-Holstein 2010, Ortsketten, 2012.